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Stadionfunk Eintracht Braunschweig:
Blauer Finger, blaues Auge

Am Samstag war Jahn Regensburg zu Gast im Eintracht-Stadion. Malte Schumacher und Kay Rohn berichten über ein Spiel, in dem auch ein Tor nach zwei Minuten, blau lackierte Finger und ein volles Stadion nicht verhindern können, dass die Blaugelben stark enttäuschen.   

Malte Schumacher:

Seuchen-Saison

Die laufende Saison ist für mich im Wortsinne eine „Seuchen-Saison“: Bereits am Freitag weiß ich endgültig, dass ich am Samstag daheimbleiben werde. Wieder hat mich ein grippaler Infekt voll im Griff – gerade mal ein halbes Jahr nach der letzten folgenschweren Heimsuchung. Mitte November musste ich das Heimspiel gegen Rostock auf dem Sofa ertragen: 0:1, danach war die Hinrunde zu Ende, und die Eintracht belegte mit 18 Punkten aus 17 Spielen Platz 14. Sechs Monate später haben wir doppelt so viele Punkte, noch zwei Spiele vor der Brust, und wir liegen wieder auf Rang 14 – also vor den Abstiegs-Plätzen.

Die hauen wir weg!

Matchday, Braunschweiger Zeitung lesen: „Macht die Eintracht alles klar?“ – so titelt Leonard Hartmann seinen Vorbericht. Klar ist: Sandhausen und Regensburg sind im Grunde nicht mehr zu retten – und Eintracht, Bielefeld sowie drei andere Teams können noch den blöden Relegations-Rang 16 erwischen. Darauf habe ich gar keine Lust. Unser Vorteil: Heute kommt der fast sichere Absteiger Jahn Regensburg, das schlechteste Auswärts-Team der Liga. Und deshalb ärgert es mich ja auch so, dass ich nicht im Stadion sein werde: Schönes Wetter, volle Bude - die hauen wir weg!

Wird heute schon gefeiert?

Marx ist wohl verletzt, de Medina und Ihorst fallen schon länger aus. Na ja, mal abwarten, wer beginnt. Ich döse vor mich hin und inhaliere Minz-Öl-Dämpfe – bizarr, Ende Mai Erkältungs-Symptome bekämpfen zu müssen. Statt Stadion-Bier in rauen Mengen also heißes Ingwer-Wasser auf dem Sofa. Die Vorberichterstattung bei SKY ist relativ unergiebig – das meiste weiß ich schon. Und natürlich kramen sie das gute alte „Abstiegs-Gespenst“ aus der Motten-Kiste. Unser Trainer Michael Schiele wirkt angespannt im Interview. Nachvollziehbar: Eintracht hat heute einen Matchball. Wenn wir Regensburg schlagen (heute gilt Fanclub-Präsi Volkers Mantra: „Drei Punkte – egal wie!“), haben wir 39 Punkte. Mit etwas Glück und Paderborner Unterstützung in Bielefeld könnten wir also heute schon feiern.

Kay zwischen hunderten anderen Eintracht-Fans vor dem Haupteingang. Kay Rohn
Da war die Stimmung noch gut und die Zuversicht groß: Kay zwischen hunderten anderen Eintracht-Fans vor dem Haupteingang.

Kay Rohn (im Stadion)

Mein Stadionnachbar sagt: „Ich habe ein gutes Gefühl heute.“

Meine Tochter begleitet mich, sie bekommt ein kleines Briefing von mir mit den Stichworten, aktueller Tabellenplatz beider Mannschaften, Eintrachts Bilanz gegen Mannschaften aus den unteren Tabellenrängen, die Chance auf einen eventuellen Platzsturm inklusive abgerissener Tore, viel Emotion, Mannschaftsaufstellung.

Einen Finger hat meine Tochter blau lackiert als Glücksbringer, so ist sie emotional gut eingestellt. Die Aufstellung sieht gut aus, schönstes Maiwetter, das muss doch für die letzten Punkte reichen!

Turbo zu Beginn

Der Jahn kommt mit vier Niederlagen und einem Unentschieden aus den letzten fünf Spielen nach Braunschweig. Es ist das zweite Spiel mit dem neuem Trainer Jo Enochs für Regensburg. Sandhausen und Regensburg bilden mit jeweils 28 Punkten das Ende der Tabelle. Und Eintracht beginnt furios. Alle sind in Bewegung, Körpersprache stimmt, es sieht nach einem großen Fußballnachmittag aus. Nach zwei Minuten führt die Eintracht. Die Braunschweiger Zuschauer reiben sich die Augen. Das ist der leidensfähige Braunschweiger Fan nicht gewohnt. Pherai, mit großer Willenskraft, schießt mit einem Flachschuss das erlösende 1:0. So kann es weitergehen.

Malte Schumacher:

Das schnelle 1:0 – Hurra!

Die Aufstellung ist da: Bryan Henning neben Nikolaou im Mittelfeld, Multhaup und Donkor auf den Außen. Kein Wiebe, kein Krauße, kein Kaufmann – okay, die sitzen auf der Bank. Na dann mal los, Anpfiff. Und die erste Aktion ist gleich das 1:0 – Ujah auf Pherai, und der weiß zentimetergenau, wo der Ball hin muss neben dem Innenpfosten: keine Chance für den Regensburger Torwart. Heiliges Blech, so ein frühes Tor in so einem Spiel – das ist Gold wert! Ich lehne mich zurück und ärgere mich, dass ich jetzt nicht dort bin.
 

Will Eintracht den Ball nicht?

Der TV-Kommentator mault rum: Die Eintracht ist ihm zu passiv, zu verhalten, zu abwartend. „Die wollen den Ball gar nicht“, sagt er gerade. Na ja, das stimmt. Ich verstehe nicht, warum sie nun nicht das Kommando übernehmen und den Absteigern das zweite Tor einschenken. Im Gegenteil – der Regensburger Ballbesitz-Anteil steigt kontinuierlich. Und in der 21. Minute haut uns der Makridis ein Tor des Monats zum Ausgleich rein: Er lupft den Ball über Hennings und knallt ihn dann unhaltbar für Hoffmann aus 20 Metern volley ins Netz. Alles wieder auf Anfang, so ein Mist.

Elfmeter für Jahn Regensburg. Kay Rohn
Elfmeter für Jahn Regensburg.

Elfmeter für Regensburg

Mein Eindruck ist, dass unsere Jungs jetzt komplett den Faden verloren haben. Ob die nach dem frühen 1:0 dachten, der Drops ist schon gelutscht? Es gibt keinen echten Spielvortrag, der Ball wird fast immer von hinten nach ganz vorne auf Ujah gedroschen. Oh Gott, das haben wir schon so oft gesehen, das ist so einfallslos und so leicht zu verteidigen – das schafft sogar ein Absteiger. Das wird noch ein zäher Nachmittag, denke ich – da gibt’s Elfmeter für Regensburg. Unsere Defensive agiert total passiv im eigenen Sechzehner und Benkovic verursacht hilflos-unglücklich mit seinem Foul den Strafstoß. Mache ich mir lieber doch ein Bier auf?

Da keimte noch Hoffnung: Hoffmann hält den Regensburger Elfmeter. Malte Schumacher
Da keimte noch Hoffnung: Hoffmann hält den Regensburger Elfmeter.

Hoffmann pariert!

Hoffmann hält das Ding – Hammer! Er wählt die richtige Ecke, ist auch schön tief unten dabei, und der gerade erst eingewechselte Owusu vergibt diese große Chance in Minute 31. Puh – unverdient bleibt’s beim Unentschieden. In Bielefeld steht’s auch 1:1, Paderborn gibt sich also Mühe. Ich will nur noch in die Halbzeit-Pause, unser Trainer muss die nun wachrütteln und vielleicht auch wechseln, Wiebe und das Mentalitäts-Monster Krauße könnte ich mir gut vorstellen auf dem Platz. Multhaup dagegen wirkt heute überfordert, kurz vor der Pause schießt er einen Freistoß aus guter Position reichlich ungefährlich daneben. Da fehlen Zielstrebigkeit und Wille.
 

Funkstille auf WhatsApp

Der Trainer aber wechselt gar nicht in der Pause – okay, vielleicht hat er den Jungs in der Kabine ja überzeugend vermittelt, was nun zu tun ist, um hier zu gewinnen. Volles Haus, der Support ist da – auf unserem Fanclub-WhatsApp-Kanal aber ist seit einiger Zeit Funkstille. Und ich glaube nicht, dass die Mädels & Jungs Geburtstag feiern – dort wird diskutiert und geflucht, da bin ich mir sicher. Hinein in diese Gedanken darf Guwara durch unsere Hälfte spazieren, Owusu bedienen – und der schiebt den Ball in Zeitlupen-Geschwindigkeit in die lange Ecke – 1:2 in der 49. Minute. Decarli sieht als Gegenspieler ganz alt und zaghaft aus dabei – ich kann nicht mehr.

Ein TV-Monitor zeigt das Abstiegsgespenst. Malte Schumacher
Jetzt spukt es doch noch durch Braunschweig: Das Abstiegsgespenst.

Ist das ein ewiger Fluch?

Wir können doch so ein Matchball-Spiel gegen den Absteiger Regensburg, gegen das schlechteste Rückrunden-Team, zu Hause vor vollen Rängen nicht verlieren?? Meine Frau Andrea sagt trocken: „Das machen die doch immer so“ – gefühlte Statistik, mein Lieblings-Thema. Ja, auch am vorletzten Spieltag der Zweitliga-Saison unter Trainer Daniel Meyer am 16. Mai 2021 haben wir 1:2 daheim gegen den Absteiger Würzburg verloren und sind dann abgestiegen – aber das waren doch ganz andere Menschen damals? Oder ist es eben doch der alte Indianer-Friedhof unter dem Spielfeld-Rasen? Der ewige Fluch? Ich bin ratlos. Klarer Fall für eine sportpsychologische Studie – darüber werden wir reden im nächsten Stadionfunk-Podcast!
 

Fassungslosigkeit

Nach einer Stunde kommen Kaufmann für Multhaup und Wiebe für Henning, etwas später auch Wintzheimer für Lauberbach. Vergiss’ es – Chancen haben eher die Regensburger. Ich habe schon keine Lust mehr, mir unser Elend anzuschauen. Ich denke an meine Buddies in Block 6, die da fassungslos und enttäuscht stehen und sich wie ich fragen: Woran liegt das? Hat die ganze Mannschaft Schiss? Hat der Trainer die falsche Aufstellung und/oder die falsche Ansprache gewählt? Regensburg trifft derweil die Latte. Der eingewechselte Bonga hat nochmal eine Kopfball-Möglichkeit – aber es soll nicht sein heute, die Performance der Eintracht ist weit weg von den April-Tagen, als wir daheim Lautern und auswärts St. Pauli besiegt haben.
 

Eines der enttäuschendsten Spiele aller Zeiten

Fakt ist im Moment: Wenn wir nicht aufpassen (und in Rostock am nächsten Sonntag was reißen), dann ziehen wir die Relegations-Arschkarte. Zwei zusätzliche Spiele gegen Osnabrück, Wehen-Wiesbaden, Dresden oder Saarbrücken – wer braucht das denn? Ich nicht. Ich bin genervt, der Samstag ist im Eimer. Ich mache mir ein Bier auf – für mich war das eines der enttäuschendsten Eintracht-Spiele aller Zeiten.

Ratlos nach dem Spiel: Eintracht-Trainer Michael Schiele. Malte Schumacher
Ratlos nach dem Spiel: Eintracht-Trainer Michael Schiele.

Analyse Kay Rohn:

Was fehlt?

Ich halte keinem Spieler eine fehlende Motivation vor. Ich nehme wahr, dass es an Nähe im Zweikampf fehlt, an Bewegung in der gesamten Mannschaft. Im Pressing agiert teilweise nur die erste Reihe, die hinteren Reihen bleiben stehen und verschieben nicht mit. Damit reißen sie große Lücken für den Gegner auf dem Spielfeld.

Eine Laufleistung muss immer bezogen auf das gespielte System bewertet werden. Wir stehen mit einer Laufleistung von 112 km/pro Spiel auf Platz 14 und Heidenheim steht mit 120 km/pro Spiel bei 33 Spieltagen auf Platz 1. Ich finde, das sieht man auch, wenn man beide Mannschaften in ihren Spielen beobachtet.

 

Endspiel in Rostock

Wir haben es am letzten Spieltag in Rostock immer noch selbst in der Hand. Die Mannschaft sollte die ersten zwei Minuten des Spiels gegen Regensburg mitnehmen. Ich würde offensiver agieren und versuchen, Druck aufzubauen. Zauberwort „Kontrollierte Offensive“, ich glaube, das liegt unserer Mannschaft.

Gern würde ich Brian Behrend als „Leader“ auf dem Platz sehen. Er ist einer, der vorangeht und der auch seinen Mitspielern in kritischen Spielsituationen die richtigen Anweisungen geben kann. Mein Tipp: Wir schaffen es ohne Relegation in der Liga zu bleiben - aber nur mit Schützenhilfe anderer.


Lily

Lily fragt nach meinem Gemütszustand nach dem Spiel. Konsequenzen, falls die Eintracht es nicht schaffen sollte, mag auch ich mir gar nicht ausmalen. Es ist immer ein Auf und Ab, auch das gehört zur DNA eines Vereins wie Eintracht Braunschweig. Wir haben heute ein blaues Auge verpasst bekommen, aber es wird weitergehen!