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Kerstin Kuechler-Kakoschke, Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar und Arbeitsmarkt-Expertin. Maik Reepschläger

Fachkräftemangel, Digitalisierung, Zuwanderung: Das sagt die Arbeitsagentur

Fachkräftemangel, Klimawandel, zunehmende Digitalisierung – das alles sind zentrale Themen in einer sich wandelnden Arbeitswelt, über die Miriam Grupe mit Kerstin Kuechler-Kakoschke sprach, Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar.

Die heutige Arbeitswelt wird von vielen Schlagworten dominiert, wie zum Beispiel New Work, Transformation, Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI). Genug Stoff also, um ins Thema einzusteigen, das spannende Einblicke verspricht.

Im Vergleich zu früher hat sich der Arbeitsmarkt komplett gedreht. Waren es vor einigen Jahren die Arbeitsuchenden, die sich bei den Unternehmen um einen Job beworben haben, müssen sich heute die Firmen bei den Interessenten bewerben – denn der Fachkräftemangel ist in fast allen Branchen deutlich spürbar. „Ich spreche allerdings lieber vom Arbeitskräfte- als vom Fachkräftemangel“, meint Kuechler-Kakoschke, „die Qualifikation der Arbeitskräfte zur Fachkraft machen die Arbeitgeber schon, Hauptsache die Arbeitskräfte sind motiviert im Job. Aber auch diese Leute müssen erst mal gefunden werden.“

Kerstin Kuechler-Kakoschke, Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar und Arbeitsmarkt-Expertin. Maik Reepschläger
Kerstin Kuechler-Kakoschke, Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar.

Hilfe, die Jobfresser kommen

Im Gegensatz zum Arbeitskräftemangel steht die Furcht vor der Arbeitsplatzvernichtung. In fast jeder Generation wurden mit dem Fortschritt durch Automation (1964), durch die „Computer-Revolution“ (1978) oder die Digitalisierung (2016) die „Jobfresser“ beschworen.

Doch blicken wir zurück, sind weder die befürchteten 1,5 Millionen durch steigende Automation arbeitslos geworden noch wurden zur Jahrtausendwende gar 80 Prozent aller Jobs auf dem Arbeitsmarkt durch den Einsatz von Computern vernichtet. Und es steht auch nicht zu befürchten, dass mit der zunehmenden Digitalisierung „Arbeit auf breiter Front dezimiert“ wird, wie der Spiegel jeweils titelte und textete.

Von Roboterköchen und androiden Pflegekräften

Im Gegenteil: „Die Unterstützung durch KI und Robotersysteme ist notwendig, um die Produktion in unserer Wirtschaft weiterhin am Laufen zu halten“, ist sich Kuechler-Kakoschke sicher. Und sie führt gleich ein spannendes Beispiel an: den „Roboterkoch“. Gerade in der Gastronomie herrscht ein krasser Personalmangel, ausgelöst auch durch den Stillstand während der Pandemie. So werden auch Köche händeringend gesucht.

Der Roboterkoch kann hier zum Teil Abhilfe schaffen. Man kann ihn sich so vorstellen, dass ein Roboterarm in der Lage ist, die einfachen Standard-Gerichte zuzubereiten, also zum Beispiel Nudeln kochen kann. Das entlastet die anderen Köche, die sich um die komplexeren Mahlzeiten kümmern können. „Wir brauchen einfach kreative Lösungen“, meint die Expertin der Arbeitsagentur. „Mit der digitalen Transformation wird alles anders, aber ganz sicher wir es keine Jobvernichtung geben.“

Die Arbeitsagentur unterstützt die Firmen bei diesem Strukturwandel, indem sie die Arbeitskräfte entsprechend qualifiziert. Die Tätigkeiten an sich werden sich verändern, so sind heute schon circa 84 Prozent aller Fertigungsberufe automatisiert. Kuechler-Kakoschke berichtet von ihrem Besuch in der Batteriefertigung in Salzgitter: „Anstatt die Batterien selbst zusammenzubauen, schauen Mitarbeitende pro Schicht nach den Robotern, die diese Tätigkeit übernehmen.“ Damit hat sich das Stellenprofil gewandelt, denn nun sind ganz andere Kenntnisse gefordert, als in der reinen Montage nötig wären. Die Roboter müssen gewartet, bestückt, bedient werden.

Alle Berufe jedoch, die direkt am Menschen ausgeübt werden, wie in den sozialen und pflegenden Berufen, haben die geringste Digitalisierungs- und Automationsquote. Was ja nicht wundert. Aber wenn der Arbeitsmarkt in dieser Branche auch weiterhin wie leergefegt bleibt, sind künftige Szenarien denkbar, in denen auch hier die Pflegetätigkeiten von menschenähnlichen Robotern übernommen werden. Man darf auf den Titel des Spiegels zu diesem Thema gespannt sein …

Kuechler-Kakoschke: Noch mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt nötig

Ein weiterer Megatrend auf dem Arbeitsmarkt, der große Veränderungen mit sich bringt, ist der demografische Wandel. In Deutschland werden die geburtenstarken Jahrgänge – die sogenannten Babyboomer – in den nächsten Jahren in den Ruhestand wechseln. Damit fehlen diese Kräfte dann natürlich dem Arbeitsmarkt. Was eine Katastrophe werden könnte, weil es nicht genug Nachwuchs gibt (seit 1972 sterben mehr Menschen in Deutschland als geboren werden, die Bevölkerung schrumpft also), wird durch Zuwanderung aufgefangen, weiß Kerstin Kuechler-Kakoschke. „Sonst sähe der Arbeitsmarkt ganz schön alt aus.“

Benötigt wird aber eine noch höhere Zuwanderung von Fachkräften, als es heute der Fall ist: Gut 400.000 Fachkräfte pro Jahr müssten nach Deutschland kommen, um das Angebot an Arbeitskräften bis ins Jahr 2060 konstant zu halten.

Kerstin Kuechler-Kakoschke präsentiert Zahlen zur Entwicklung des Arbeitsmarkts. Maik Reepschläger
Kerstin Kuechler-Kakoschke präsentiert Zahlen zur Entwicklung des Arbeitsmarkts.
Das Welcome Center
Ansprechpartner für ausländische Fachkräfte

Wert legt Kuechler-Kakoschke bei diesem Thema darauf, dass es eine faire Migration ist, die stattfindet. Aus Drittstaaten (also nicht der EU) werden nur bestimmte Berufsgruppen akquiriert, damit der Arbeitsmarkt dort nicht „leergekauft“ wird. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll die Arbeitsmigration nun auch vereinfacht werden. So werden die relativ hohen Hürden für eine Blue Card (die Arbeitserlaubnis für akademische Fachkräfte) gesenkt und eine weitere Säule, nämlich Berufserfahrung, kommt dazu. War es bisher so, dass beispielsweise ein Tischler aus der Elfenbeinküste nicht anerkannt wurde, kann er nun in Deutschland arbeiten, wenn der Arbeitgeber ihn ausdrücklich beschäftigen möchte.

Damit sich ausländische Arbeitskräfte in Deutschland gut einleben, ist eine wohlwollende Willkommenskultur notwendig. Diese wird in der Region neben anderen Institutionen auch tatkräftig von der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar mitgestaltet, die am Welcome Center mitwirkt.

Der dritte Megatrend

Der dritte Megatrend, der die neue Arbeitswelt entscheidend beeinflusst, liegt im ökologischen Wandel. Denn Nachhaltigkeit wird immer wichtiger – für die Unternehmen, in Form von „grünen“ Jobs, und für die Mitarbeitenden selbst natürlich auch.

War früher der Beruf des Klempners eher uncool, so ist der Wandel zur SHK (Sanitär-, Heizung-, Klimatechnik) heute modern, bestätigt Kerstin Kuechler-Kakoschke. Denn nun können die Klimatechniker aktiv am ökologischen Wandel arbeiten, wenn umweltfreundliche Heizungs- und Sanitärsysteme eingebaut werden müssen. So wird aus einem „dreckigen“ plötzlich ein „grüner“ Job!

In der Region haben wir viele Unternehmen, die in puncto Umweltfreundlichkeit stark sind. So will die Salzgitter-AG künftig CO2-neutralen Stahl produzieren; auch in Salzgitter werden Batterien für umweltfreundliche E-Autos gefertigt. Und Goslar ist führend in der Wasserstoffkompetenz.

Aber auch für die Jobsuchenden wird es zunehmend wichtiger, wie nachhaltig ihr neuer Arbeitgeber ist. Gerade bei jungen Menschen ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Argument dafür, einen Job anzunehmen oder abzulehnen, hat Kuechler-Kakoschke beobachtet. Auch und gerade im Bereich der Ausbildungen.

Wo die Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar unterstützt

Der Arbeitsmarkt wandelt sich also gerade ganz stark. Und das erfordert Maßnahmen, bei denen die Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar sowohl Unternehmen als auch die Arbeitskräfte unterstützt.

Junge Menschen werden von der Arbeitsagentur hinsichtlich ihrer Ausbildung kompetent beraten, damit schon früh dem Mangel an Fachkräften entgegengewirkt werden kann. Dazu gehen Berufsberater in die Schulen, wo sie einmal die Woche an „ihrer“ Schule präsent sind. Das niedrigschwellige Angebot beginnt bereits ab Klasse 8, es werden dazu kontinuierlich Sprechstunden angeboten. Haben sich früher Jugendliche vorrangig am Beruf ihrer Eltern orientiert, die  zwar auch heute noch der wichtigste Ratgeber sind, ist der Ausbildungsmarkt mit über 300 Ausbildungsberufen und rund 21.400 Studiengängen deutlich beratungsintensiver geworden.

Umso wichtiger ist es dann, die passenden „Future Skills“ im Rahmen der „New Work“ zu erlangen! Dementsprechend haben auch die Industrie- und Handelskammern viele Berufsbilder mittlerweile angepasst.

Eine weiteres Beratungsangebot hält die Arbeitsagentur für Unternehmen bereit: „Wir beraten die Firmen, damit sie im Wettbewerb um die Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gut aufgestellt sind“, so Kuechler-Kakoschke.

Und natürlich werden Arbeitsuchende sowie Beschäftigte von der Arbeitsagentur beraten, wenn sie sich umorientieren möchten und für einen neuen Job qualifiziert werden müssen. Ein wichtiger Punkt, um den Fachkräftemangel zu entschärfen.

„Neue Arbeitswelten“ – eine Präsentation der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar über moderne Entwicklungen im Arbeitsmarkt.. Maik Reepschläger
„Neue Arbeitswelten“ – eine Präsentation der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar.

New Work hat viele Gesichter

Schließlich möchte ich von Kerstin Kuechler-Kakoschke wissen, was aus ihrer Sicht als Chefin der Arbeitsagentur „New Work“ ausmacht. Das seien zum einen die bekannten Benefits, die Firmen ihrer Belegschaft anbieten, wie beispielsweise Fitnessangebote oder die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, sagt sie.

Neue Wege zu beschreiten gehöre auch dazu, wenn zum Beispiel die Bäckereifachverkäuferin auf dem Land keine Möglichkeit hat, mit dem ÖPNV früh zur Arbeit zu kommen und deshalb einen Firmenwagen angeboten bekommt. Oder wenn das Schichtsystem in der Pflege auf den Wunscharbeitsplan der Pflegenden umgestellt wird. „Damit bieten diese Unternehmen ihren Mitarbeitenden Vorteile, die sie eben nicht überall bekämen und halten das so schwer zu findende Personal.“

Weitere Punkte, die laut Kuechler-Kakoschke New Work auszeichnen, sind ein gutes Betriebsklima, Entwicklungsmöglichkeiten für die Beschäftigten, Vertrauen in die Führung, die Möglichkeit, im Unternehmen „Schwarmintelligenz“ zu nutzen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten – und eine gute Führungskultur.

Kerstin Kuechler-Kakoschke hat den Überblick über den regionalen Arbeitsmarkt in Braunschweig. Maik Reepschläger
Kerstin Kuechler-Kakoschke sagt, dass keine massenhafte Arbeitsplatzvernichtung durch Digitalisierung stattfinden wird.

Gerade bei der Führungskultur sieht sie aktuell einen Wandel: Hat die Führung in kleineren Firmen schon immer „gemeinsam an einem Strang gezogen“ und bot flache Hierarchien mit schnellen Entscheidungswegen, waren die Führungsstrukturen in großen Unternehmen eher schwerfällig und langsam. Das ändere sich gerade ganz stark.

Mittlerweile haben alle Unternehmen erkannt, dass ein Wandel zuerst immer ganz oben stattfinden muss – denn nur als gutes Vorbild zieht die Führung alle anderen mit. Und auch, wenn Veränderungen immer mit Ängsten einhergehen (siehe die Prophezeiungen im Spiegel), ist es die einzige Möglichkeit, zukunftssicher aufgestellt zu sein, wenn Digitalisierung, Klimawandel und Demografie die Transformation in der Arbeitswelt beschleunigen!